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18.12.2020

Nur noch schnell einen Porno schauen … da ist doch nichts dabei, oder?

Es ist abends geworden und aus Rüdigers Büro dringt ein schwacher Lichtschein in den Flur – er ist der letzte, der noch am Schreibtisch sitzt. Er sieht sich noch einmal prüfend um. Bevor er zu seiner Frau und den drei Kindern nach Hause fährt, klickt er auf eine eindeutige Internetseite. Er will noch schnell „etwas Druck ablassen“, was ist schon dabei, das macht doch jeder, oder?

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Mit lüsternen Augen betrachtet er die heiße Blondine in eindeutiger Pose. Einen Porno ansehen – nichts ist heute leichter als das. Ist doch kein Problem und macht sowieso so gut wie jeder. Ein Klick genügt und schon räkeln sich die Webcamgirls verführerisch auf dem Bildschirm, Laiendarsteller versuchen sich bei ihrem Sextape oder hochprofessionelle Darsteller regen die eigene Lust an. Pornos können das eigene Liebesleben durchaus bereichern aber bei übermäßigem Konsum zu einer schwerwiegenden Sucht werden. Längst hat Rüdiger, die Grenze überschritten, er sieht nicht nur im Büro abends einen Porno, sondern auch heimlich zuhause, wenn die Frau mit den Kindern beim Einkaufen ist. Er verbringt längere Zeit im Bad oder setzt sich ins Auto – alles nur, um seine Sucht zu befriedigen.

Wenn die Arbeit leidet…

Schon wieder eine Beschwerde vom Kunden, der Kollege regt sich auf, dass er bei der Präsentation vor dem Vorstand die Hauptarbeit gemacht hat und der Chef meckert, warum in dem letzten Angebot schwerwiegende Fehler gemacht wurden – Rüdigers Pornosucht hat mittlerweile großen Einfluss auf seine beruflichen Leistungen. Es fällt ihm immer schwerer sich zu konzentrieren, da er ständig nur „das Eine“ im Kopf hat. Unter seinen Vorgesetzen und Kollegen macht sich zunehmend Verwunderung breit, da sie sehen, dass Rüdiger meist der letzte ist, der das Büro verlässt und anscheinend viele Überstunden macht, allerdings ohne Ergebnis.

Wenn virtueller Sex zur Sucht wird

Die Pornoindustrie ist ein Multimillionen-Branche und jedes Jahr gibt es noch mehr, noch intensivere Angebote. Die digitale Zukunft mit Virtual Reality, Single-Player Spielen oder sogar Robotern befeuert das Geschäft zusätzlich. Sexuelle Filme sprechen dabei das Belohnungszentrum in Gehirn an, Botenstoffe wie Dopamin, Serotonin und Endorphine werden ausgeschüttet – es kommt zum High-Gefühl. Sex ist der mit Abstand stärkste Aktivator des Lustzentrums neben Nahrung und wird nur noch von Substanzen wie Kokain oder Heroin getoppt. Es ist somit gesehen ein Genussmittel und weckt sexuelles Verlangen und Lust. Doch wie bei anderen Drogen auch, gewöhnt sich das Gehirn an den Reiz von Pornos und braucht immer mehr davon. Die Folge: Auf der Suche nach dem immer größeren Kick schauen Betroffene länger und/oder extremeres Material. Die Pornosucht beginnt. Und so wie bei anderen Süchten auch, sind die Übergänge zwischen gelegentlichem Konsum und Abhängigkeit fließend.

Tabuthema Pornosucht

Seit Jahren schon sieht sich Rüdiger regelmäßig Pornos an. Es jemandem zu erzählen, kommt für ihn nicht in Frage – was würden denn die anderen denken. Und schließlich ist er ja nicht süchtig, oder etwa doch? Woran erkennt man die Sucht? Ab wann geht es über das normale hinaus? Ein sicheres Anzeichen einer Pornosucht ist, wenn man versucht mit dem Konsum von Pornos aufzuhören und merkt, dass das nicht geht. Weitere Merkmale sind, dass sich sexuelle Fantasien wie ein roter Faden durch den Tag ziehen. So ist es auch bei Rüdiger, schon während er tagsüber arbeitet, kann er es kaum abwarten, bis alle das Büro verlassen haben und er sich seinen Pornos widmen kann. Was am Anfang nur mit ein paar Nacktbildern begonnen hat, ist mittlerweile ausgeartet und hat inzwischen negative Auswirkungen auf seine Leistungen im Beruf und seine Beziehung. Er kann es nicht mehr steuern und ein Tag ohne Porno geht bei ihm nicht mehr. Zunehmend beginnt er unter seiner Sucht zu leiden und weiß, dass sich etwas ändern muss.

Raus aus der Sucht

Wie bei jeder anderen Sucht auch, gibt es eine Reihe von Strategien, die natürlich immer individuell angepasst werden müssen. Ziel sollte es sein, die pornografischen Angewohnheiten zu verändern, um auch den damit verbundenen Leidensdruck in den Griff zu bekommen. Eine Möglichkeit ist zum Beispiel, den Zugang zu pornografischen Filmen und Bildern streng zu restringieren. So, wie ein Spielsüchtiger keinen Einlass mehr ins Casino oder in die Spielothek erhält, können an einem Computer bestimmte Webseiten blockiert werden. Eine andere Variante ist es, dass sich die betroffene Person mit Aktivitäten ablenkt. Dafür empfiehlt sich ein Terminkalender, in dem diese konsequent eingetragen werden, damit es erst gar nicht zu zeitlichen Lücken kommt, die dann doch wieder für pornografischen Konsum genutzt werden. Eine Option ist es aber auch, Pornos komplett aus dem Leben zu verbannen. Ist man erstmal in der Sucht gefangen, ist das keine leichter Weg, weshalb sich in jedem Fall der Besuch eines Therapeuten lohnt, mit dem gemeinsam nach Lösungen gesucht wird. Pornosucht sollte in keinem Fall unterschätzt werden und auch Unternehmen sollten offen damit umgehen und Präventionsarbeit leisten, damit es erst gar nicht so weit kommt.

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